In ihrem ersten historischen Roman erzählt uns die Autorin eine wahrhaft haarsträubende Geschichte. Eigentlich unglaublich, aber die Ereignisse um den Tichborne-Fall haben sich tatsächlich so zugetragen. Spannend verwebt sie verbriefte geschichtliche Details mit Fiktion und spannt den Bogen bis zur heutigen Zeit, was das Buch aktueller denn je macht.

Um 1854: Sir Roger Tichborne, potentieller Erbe des legendären Tichborne-Vermögens und aus altem englischen Adel stammend, verschwindet auf dem Seeweg nach Jamaika ohne jegliche Spuren zu hinterlassen. Die Suche nach ihm bleibt erfolglos. Ungefähr 10 Jahre später meldet sich Arthur Orton, ein in Australien lebender Brite, zu Wort und behauptet, der Verschollene zu sein. Die verzweifelte Mutter, Lady Tichborne, glaubt ihm (oder will sie es glauben?), dass er ihr verlorener Sohn ist und setzt ihn als Erben ein. Die offensichtlichen Tatsachen hingegen sprechen dagegen. Orton spricht kein Französisch. Er ist ein grobschlächtiger und fettleibiger Mensch, wohingegen der junge Tichborne ein androgyner Typ war. Kann sich ein Mensch derartig verändern?

Um 1873, nach dem Tod von Lady Tichborne, strengt ihre Familie einen Prozess an. Dieser wird öffentlich gemacht und spaltet die Gesellschaft. Es entsteht ein wahrer Medienhype. Die Upper Class auf der einen Seite und die nicht so Privilegierten auf der anderen. Die Letzteren feiern Orton als Medienstar. Er wird für sie eine Art Heldenfigur. Unerwartet kommt ihm dann noch ein ehemaliger Sklave aus Jamaika, Andrew Bogle, zur Hilfe. Er stützt die Aussage von Orton und wird zu einem Hauptzeugen des Prozesses.

Die Hauptfigur der Autorin aber ist Eliza Touchet, klug, gebildet und unwissentlich eine frühe Vorreiterin der Emanzipation. Sie wohnt dem gesamten Prozess bei, führt uns durch die Geschichte und kommt letztendlich der Wahrheit (welcher Wahrheit?) sehr nahe.

Zadie Smith bleibt in ihrem Roman ihren Herzensthemen treu, es geht um Rassismus und um eine bigotte und kapitalistisch orientierte Gesellschaft. Außerdem ist die Faszination für Fake News und charismatische Hochstapler, angestachelt durch die Medien, heute so aktuell wie damals. Diese Story, die fast an Dickens’ Romane erinnert, kommt scheinbar wie ein praller Schmöker daher, aber ist äußerst vielschichtig mit einer allgegenwärtigen tiefernsten Aussage. Literatur vom Feinsten verpackt in eine spannende Geschichte, gewürzt mit viel Sozialkritik, einer Prise Humor und einer skurrilen Schar an Haupt- und Nebenfiguren. Das perfekte Weihnachtsgeschenk!

(Sylvia Jongebloed)


Zadie Smith: Betrug, Kiepenheuer & Witsch 2023, € 26,00.

Übersetzt von Tanja Handels

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