Márquez ist einer der ganz großen Erzähler der Nachkriegszeit. So zählen seine Werke, allen voran „Hundert Jahre Einsamkeit“ und „Liebe in Zeiten der Cholera“, inzwischen zu Klassikern der Weltliteratur. Umso größer die Freude für die Nachwelt, dass jetzt das letzte unveröffentlichte Buch aus seinem Nachlass erschienen ist.

Es ist die Geschichte einer Frau in der zweiten Lebenshälfte. Ihr Leben und ihre Ehe sind zur Routine geworden. Alles spielt sich gleich ab. So fährt sie jedes Jahr im August auf eine kleine Karibikinsel, um dort das Grab ihrer Mutter zu besuchen. Abends isst sie in ihrem Hotel eine Kleinigkeit, um dann am nächsten Morgen zurückzukehren. Doch an diesem Abend ist es anders. Sie wird von einem Fremden zu einem Drink eingeladen. Entgegen ihrer inneren Überzeugung nimmt sie nicht nur an, sondern mehr noch, sie nimmt ihn mit auf ihr Zimmer. Als sie am nächsten Tag nach Hause fährt, ist sie nicht mehr dieselbe Frau wie vorher.

Es geht um Liebe, Einsamkeit, Betrug, Konventionen und deren Überwindung. So entsteht das Psychogramm einer reifen Frau, die sich neu erfindet. Mehr noch, zum Schluss wartet der Autor außerdem mit einer Überraschung auf, die wie ein Knallbonbon die Geschichte ausklingen lässt.

Es gab viel Aufregung um das posthume Erscheinen dieses letzten Werkes. Der Autor hatte es mehrfach umgeschrieben und hatte seinen Söhnen eine Veröffentlichung nach seinem Tod verboten. Jetzt, zehn Jahre später, haben sie sich darüber hinweggesetzt mit durchaus nachvollziehbaren Argumenten. Wie man dazu steht, muss jeder für sich selbst entscheiden.

Dabei steckt in diesem kleinen Roman noch so viel Erzählkraft des Autors, obwohl er damals bereits krank war. Schon der Beginn ist ungeheuer atmosphärisch und die Sprache so typisch melodisch für „Gabo“, wie er in Kolumbien liebevoll genannt wird, dass es einfach eine Freude ist. Die herausragend gut geschriebene Geschichte ist dicht erzählt und besticht durch eine kunstvolle Figurenzeichnung und die farbenfrohe Sprache. Nicht zuletzt durch die kongeniale deutsche Übersetzung ist hier ein kleines literarisches Meisterwerk entstanden, dem man sich nicht, wenn auch mit Wehmut, entziehen kann.

(Sylvia Jongebloed)


Gabriel García Márquez: Wir sehen uns im August. Kiepenheuer & Witsch 2024, € 23,00.

Übersetzt von Dagmar Ploetz

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