Die in der europäischen Literaturszene fest etablierte finnisch-estnische Autorin hat mit ihrem aktuellen, vierten Roman wieder ein brisantes Thema aufgegriffen.

Ukraine 2006: Olenka kommt nach erfolglosen Jahren als Model zum ersten Mal in ihr Heimatdorf zurück. Ihre Familie lebt mehr schlecht als recht vom Mohnanbau. Da das zum Leben hinten und vorne nicht reicht, waren alle Erwartungen auf Olenka gerichtet und wurden enttäuscht. Nun braucht sie ganz dringend einen lukrativen Job oder einen betuchten Ehemann, um sich und ihrer Familie ein gutes Leben zu ermöglichen. Durch eine Anzeige, in der junge gutaussehende und gesunde Frauen gesucht werden, kommt sie zu einer Agentur für Eizellenspenden und Leihmutterschaften und lässt sich dort anwerben.

Helsinki 2016: Im sogenannten Hundepark treffen Eltern mit ihren spielenden Kindern auf Gassi gehende Hundebesitzer. Auf einer der Bänke sitzt Olenka Tag für Tag mit einem Buch und beobachtet das bunte Treiben. Nach einer Zeit als Eizellenspenderin hat sie in der Babyagentur selbst als Agentin gearbeitet und viele Frauen angeworben. Eines Tages setzt sich eine junge Frau neben sie, die sie erst auf dem zweiten Blick erkennt. Es ist Daria aus ihrem Heimatdorf, die sie selbst als Spenderin anwarb, und Daria hat noch eine Rechnung mit ihr offen.

Der Handel mit dem ungeborenen Kind ist zu einem großen Thema in der heutigen Ukraine geworden. Frauen in Not und ohne Perspektive werden auf ihre Körper reduziert und erbarmungslos ausgenutzt. Stellvertretend für andere Missstände in diesem von Krisen und Kriegen gebeutelten Land, zeigt die Autorin den langen Leidensweg der durch die Sowjetunion über Jahrzehnte ausgebeuteten Ukraine und die Bedeutung, die sie für das heutige Russland immer noch hat. Eine Entwicklung, die aktuell in einen unfassbaren Krieg mit vielen Todesopfern führt.

Oksanen hat hier erneut einen autofiktionalen Roman geschrieben und eine fiktive Geschichte mit detailliert recherchierten Fakten verwoben. Literarisch auf hohem Niveau, liest sich das Buch wie ein Thriller. Spannend, sensibel erzählt und flüssig zu Lesen, verfliegen die Seiten in einem Rutsch. Die bildhafte Sprache, gepaart mit einem Realismus an Erzählkraft, wühlt zusätzlich auf und brennt sich in das Gedächtnis ein. Lebendige Zeitgeschichte, die betroffen macht und die Frage aufwirft, wie viel wir eigentlich über unsere osteuropäischen Nachbarn und deren Nöte und Probleme wissen. Ein wichtiges Buch mit aktuellen Bezügen. Von einer großen Erzählerin geschrieben!

(Sylvia Jongebloed)


Sofi Oksanen: Hundepark. Kiepenheuer & Witsch 2022, € 23,00.

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