Ein altes Rezeptbuch, ein Geheimnis aus der Vergangenheit und der Mut, über den eigenen Schatten zu springen und etwas Neues und ganz Verrücktes zu wagen: Das sind die Zutaten zu diesem wunderbaren Roman. Aber Vorsicht Spoiler, dies ist nicht irgendein oberflächlicher Feel-Good-Roman. Er ist äußerst komplex und tiefgründig.
Jennifer Quinn ist 77 Jahre alt und führt seit 60 Jahren eine glückliche Ehe mit ihrem Bernard. Sie leben in einem beschaulichen kleinen Ort in England. Ihre große Leidenschaft ist das Backen, sicher auch ein Ausgleich für ihre Kinderlosigkeit. Sie ist eine wahre Meisterin ihres Fachs, probiert ständig neue Ideen aus, aber ihr eigentlicher Joker sind ihre über Jahrzehnte gesammelten alten Familienrezepte, die sie wie einen Schatz hütet. Familie und Freunde profitieren von ihrer Backkunst und sind ihr förmlich verfallen. So lebt sie glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage? Nein, etwas nagt an ihr und das Gefühl, das kann doch nicht alles gewesen sein, treibt sie um.
In dieser gedrückten Stimmung sieht sie im Fernsehen eine Werbung für die Teilnahme an ihrer ultimativen Lieblingsbacksendung. Jetzt oder nie, einmal zeigen was man kann. Nach anfänglichem Zögern bewirbt sie sich schließlich. Der Fragebogen, den sie daraufhin ausfüllen muss, zieht sie dann erstmal wieder runter. Es geht nicht nur um Kuchen und Torten, ihre absolute Spezialität, sondern auch ums Brotbacken. Der absolute Horror für sie. Aber fürs Aufgeben ist es zu spät und so stellt sie sich auch dieser Herausforderung.
Wenn man dieses Buch liest, läuft einem förmlich das Wasser im Mund zusammen und der Geruch von frisch Gebackenem ist ein Fest für die Sinne. Toll, wie die Autorin das sprachlich umsetzt. Auf der anderen Seite hat die Geschichte auch sehr lebenskluge, fast schon philosophische Ansätze. Über allem steht, ich kann mich nochmal neu erfinden, egal ob ich jung oder alt bin.
Ein Nebenerzählstrang befasst sich mit dem Geheimnis, das Olivia seit Jahrzehnten belastet. In Rückblenden auf ihre Vergangenheit baut die Autorin geschickt zusätzliche Spannung auf. Die einzelnen Charaktere sind sehr sensibel und fein gezeichnet. Das rundet das von Gerüchen und Geschmäckern durchzogene Buch zusätzlich ab und lässt die Geschichte wie einen Film vor dem inneren Auge ablaufen.
Ein tolles Buch zum Lachen, Weinen, Mitfiebern und Mitfühlen und nicht zu vergessen: Nachmachen! Zum Schluss noch ein Tipp für alle, die lieber auf Hörbücher zurückgreifen. Die Geschichte wird von Katharina Thalbach absolut genial und mit sehr viel Verve gelesen. Sehr empfehlenswert!
(Sylvia Jongebloed)
Olivia Ford: Der späte Ruhm der Mrs. Quinn. dtv Verlag 2023, € 24,00.
Übersetzt von Sonja Rebernik-Heidegger
