Ist es heutzutage noch möglich, vollständig unterzutauchen, von Überwachungskameras und -systemen unentdeckt zu bleiben, absolut unsichtbar zu sein? Nicht aufspürbar zu sein? Dieser Frage widmet sich der neue Roman von Anthony McCarten.

Im Rahmen eines groß angelegten Beta-Tests haben sorgfältig ausgewählte Personen 30 Tage Zeit, sich vor einer neuen, gigantischen Überwachungsmaschinerie zu verstecken. Gelingt es ihnen, erhalten sie ein hohes Preisgeld. Werden sie vor Ablauf dieser Frist aufgespürt, gilt dies den Initiatoren des Testlaufs als Erfolg, der zu einer engen, lukrativen Verzahnung von Privatwirtschaft und Staat führen würde.

„Fusion“ nennt sich diese Überwachungsmaschine. Sie ist eine gemeinsame Initiative der großen Tech-Firma „World Share“ und CIA, NSA und FBI. In diesem Beta-Test wird untersucht, ob eine Zusammenarbeit von World Share und dem Staat sinnvoll ist. Die Befürworter glauben, dass dies zu einer neuen Stufe von Ermittlungsmöglichkeiten führt, zu mehr Sicherheit und zu einer frühzeitigen und zuverlässigen Verhinderung von Terrorangriffen und Amokläufen. Durch hochentwickelte Technologien und Algorithmen, Sicherheitslücken in digitalen Alltagsgegenständen und Ressourcen von CIA & Co kommt ein unermesslicher, nicht versiegender Strom an Informationen zustande. Geopfert wird dafür die Privatsphäre, da durch „Fusion“ der Zugriff auf praktisch alle Gewohnheiten, Geheimnisse und Tagesabläufe von jedem Menschen gewährleistet ist.

„World Share“ ist ein Mega-Konzern, eine fiktive Mischung aus Facebook, Tesla und anderen Tech-Giganten. Der Konzernboss Cy Baxter lebt in unvorstellbarem Luxus und ist von überragender fachlicher Intelligenz. Auf der anderen Seite hat er extreme soziale Defizite und eine etwas pathologische Persönlichkeitsstruktur. Seine Gegenspieler sind ein paar wenige Zweifler vor allem unter den staatlichen Kooperationspartnern.

Die Testpersonen sind ganz unterschiedlich: Amateure wie ein technikferner Senior, aber auch Profis aus dem Bereich Datenschutz und Privatsphäre bis hin zu Kopfgeldjägern, die wissen, mit welchen Tricks Menschen unentdeckt bleiben können. Doch eine Testperson, nämlich die unscheinbare Bibliothekarin Kaitlyn, fällt Cy schnell auf. Sie legt besonders clevere falsche Fährten und entkommt dem Zugriff der „Fusion“-Teams immer wieder. Schnell entwickelt sich der Test zu einem Duell zwischen Kaitlyn und Cy. Und dann nimmt die Geschichte noch eine überraschende Wendung, von der hier nichts verraten werden soll. Nur so viel – es bleibt spannend bis zum Schluss.

In diesem Roman geht um das Recht auf Privatsphäre, um Spionage, die sich gegen die eigenen Bürger richtet, um Grundrechte und deren Verletzung und um die Frage, wohin eine Gesellschaft steuert, in der die Privatwirtschaft staatliche Aufgaben wahrnimmt, ohne dazu demokratisch legitimiert zu sein. Es ist sehr gut zu lesen, sehr spannend und man möchte es nicht mehr aus der Hand legen, bis man das Ende kennt. Ein tolles Buch, das nachdenklich stimmt.

(Birgit Lingmann)


Anthony McCarten: Going Zero. Diogenes 2023, € 25,00.

Übersetzt von Manfred Allié

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