Despentes, Enfant Terrible der französischen Literaturszene, behandelt in ihrem brillanten Email-Roman Reizthemen unser Zeit wie zum Beispiel MeToo, Feminismus, soziale Medien, Corona, Alkohol und Drogen. Sie ist bekannt für ihren tabu- und kompromisslosen Ton, aber auch für ihre nuancierte literarische Sprache.

Rebecca, einst erfolgreiche Schauspielerin und Idol einer ganzen Generation, jetzt mit Anfang Fünfzig eine verblühte und verlebte Schönheit, wird auf Instagram aufs Übelste beschimpft. Oskar, ein Schriftsteller ebenfalls mittleren Alters, lässt eine ganze Hasstirade auf sie herab und spart nicht mit bösen Kommentaren. Er bezeichnet sie nicht nur als Schlampe, sondern auch als alt und hässlich. Rebecca kontert postwendend und beginnt ihre Antwort mit Liebes Arschloch. Dann wird sie sehr persönlich und äußerst drastisch. Oskar, überrascht über ihre nicht erwartete heftige Antwort, ist erst geschockt und dann aber amüsiert. Er antwortet ihr wesentlich versöhnlicher und outet sich als jüngster Bruder ihrer besten Freundin aus Kindheitstagen. Das besänftigt sie zwar gar nicht, aber es entspinnt sich ein Mailwechsel, zuerst noch in einem harschen Tonfall, später immer mehr psychologisierend und entspannter.

Doch Oskar hat noch ein anderes Problem. Denn da ist noch Zoe, unter dreißig, erfolgreiche Influencerin mit Followern im sechsstelligen Bereich. Früher war sie Verlagsassistentin und wurde von Oskar massiv sexuell bedrängt. Sie konnte vor Angst nicht schlafen und entwickelte Essstörungen, fühlte sich aber dazu verpflichtet, im Beruf stets professionell zu bleiben und sich nichts anmerken zu lassen. Bis zu ihrer Kündigung. Jetzt hat sie einen wahren MeToo-Shitstorm über ihn entladen, der hohe Wellen schlägt.

Noch dieser Hinweis, lassen Sie sich nicht von dem deftigen Titel abschrecken. Die Autorin passt ihre Sprache lediglich den jeweiligen Themen an, was in den Kontexten auch ganz natürlich wirkt. Zuerst bewegt sich ihr Ton noch häufig unter der Gürtellinie, wird aber im Laufe des Buches zunehmend gemäßigter. Despentes, die Aufmüpfige und radikale Feministin schlägt hier ganz andere Töne an als in ihren vorherigen Werken und setzt zunehmend auf den Dialog. Man muss anerkennend bemerken, diese neue, reife Seite steht ihr ausgesprochen gut. Ein bemerkenswerter Roman, der voll den Zeitgeist trifft, literarisch anspruchsvoll und zugleich sehr unterhaltsam. Ein echter Pageturner!

(Sylvia Jongebloed)


Virginie Despentes: Liebes Arschloch, Kiepenheuer & Witsch 2023 € 24,00.

Übersetzt von Ina Kronenberger und Tatjana Michaelis.

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