In ihrem mehrfach preisgekrönten Debütroman greift Victoria Mas eine lange in Frankreich verdrängte Thematik auf, die letztendlich überall in Europa Ende des 19. Jahrhunderts so oder ähnlich stattgefunden hat, aber über die man auch heute noch nicht gerne spricht.

Es geht um Frauen, die anders sind, unangepasst, mit eigener Meinung oder einfach nur sehr individualistisch. Als Hysterikerinnen abgestempelt werden sie weggesperrt in die berüchtigtste

Nervenheilanstalt von Paris, die Salpêtrière. Hier behandeln männliche Ärzte ausschließlich Frauen und präsentieren die interessantesten Fälle einem ausgewählten männlichen Publikum in Vorlesungen wie auf einer Viehauktion. Anhand der fiktiven Biographien dreier Frauen macht die Autorin auf die damaligen Missstände solcher Einrichtungen aufmerksam. Die Frauen werden regelrecht entsorgt, einmal hier gelandet, werden sie meistens vergessen, selbst von ihren Familien.

Einmal im Jahr zur Karnevalszeit sind sie allerdings im Focus des öffentlichen Interesses. Der Ball der Verrückten, so auch der französische Originaltitel, ist das gesellschaftliche Ereignis schlechthin. Hier gibt sich die Pariser Haute Volée einem gruseligen Vergnügen hin, nämlich dem Tanz der Verrückten zuzusehen. Dieser Ball ist zugleich das Herzstück des Romans. Die Handlung läuft stringent darauf zu und gipfelt in dem Fluchtversuch einer der Hauptfiguren.

So wachsen die Protagonistinnen dem Leser sehr schnell ans Herz, ungern schließt man das Buch am Ende. Man möchte einfach wissen, wie ihr Leben weiter verläuft. Überhaupt werden die verschiedenen Frauenfiguren sehr unterschiedlich in ihren Charakteren dargestellt und geben dadurch eine gute Vorstellung von den damals vorherrschenden Frauentypen ab.

Diesen Frauen gibt die Autorin eine Stimme, indem sie sie durch diesen Roman wieder zum Leben erweckt. Schonungslos werden die damaligen Zustände dargestellt. Das steht in einem scheinbaren Kontrast zu der Leichtigkeit, mit der diese Geschichte erzählt wird. Der Leser tanzt quasi von Seite zu Seite und fiebert mit den Frauen mit. Spannend und sehr einfühlsam erzählt führt uns der Roman in eine Zeit zurück, die erst 130 Jahre zurückliegt und immer noch eine offene Wunde ist. Ein wichtiges Buch, sehr empfehlenswert!

Victoria Mas: Die Tanzenden. Piper 2020, € 20,00.

Hier finden Sie das Buch in unserem Onlineshop.

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