Eine großartige neue Stimme in der Literatur erzählt uns von einem Jungen, der auszieht, ein Unrecht wieder gutzumachen und der es so schafft, für sich und uns Lesende die Welt wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen. Ein Roman, der einen zwischendurch aus den Schuhen haut.

Stefanie vor Schulte, 1974 in Hamburg geboren, wurde 2021 für dieses Erstlingswerk mit dem Mara-Cassens-Preis ausgezeichnet, dem bundesweit höchstdotierten Preis für das beste deutschsprachige Romandebüt.

Ein bitterarmes Dorf voller Dummheit, Aberglauben und gebeutelt vom täglichem Überlebenskampf, in dem sich jeder selbst der Nächste ist, und eine wahnsinnige Fürstin, die ihr Reich verlottern lässt: In dieser überwiegend mitleidlosen, sinnentleerten und willkürlichen Welt lebt Martin, ein Junge von erst elf Jahren ohne Familie, der von der Dorfbevölkerung halbherzig durch gelegentliche kleine Aufträge am Leben gehalten wird.

Ansonsten bleibt Martin sich selbst überlassen, denn seiner Umgebung ist er ob seiner Intelligenz und seines mitfühlenden Wesens zu unbequem, ja geradezu unheimlich, und dass sein einziger Freund und ständiger Begleiter ein struppiger schwarzer Hahn ist, macht die Sache in den Augen der Dorfbewohner auch nicht besser.

Martins nächster Auftrag besteht darin, einer Dorfbewohnerin, die mit ihrem Säugling im Tragetuch und der kleinen Tochter an der Hand schon bepackt genug ist, die Kartoffeln zum Markt zu tragen.

Plötzlich geschieht das, wovor sich die Dörfler fürchten; ein Reiter galoppiert heran und greift sich die kleine Tochter. Dies war nicht der erste Kinderraub in der Gegend, wohl aber der erste, den Martin miterlebt. Er versucht zwar erfolglos, den Entführer einzuholen, aber das Entsetzen ist beidseitig, denn der Reiter blickt sich bei seiner Flucht noch einmal um und hat seinerseits schon viel Unheimliches über den schwarzen Hahn gehört, der den Jungen umflattert.

Wieder zurück im Dorf kann Martin weder die Angst des kleinen Mädchens noch das Leid der Mutter vergessen. Er ergreift die Gelegenheit, mit einem umherziehenden Maler und natürlich mit seinem Freund, dem Hahn, das Dorf zu verlassen und sich so auf die Suche nach dem entführten Kind zu machen.

Wer Lust hat auf eine gekonnte Mischung aus bildgewaltigem Märchen, humanistischer Fabel und schonungslosem Realismus, wer eine ganz neue Stimme der Literatur kennenlernen und die eigenen humanistischen Ideale ein wenig boostern möchte, dem sei dieses umwerfende Debüt gerade jetzt wärmstens ans Herz gelegt.


Stefanie vor Schulte: Junge mit schwarzem Hahn. Diogenes 2021, € 22,00.

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