Der Franzose Norek mischt schon seit einigen Jahren in der obersten Krimiliga seines Heimatlandes mit. Hier bei uns ist er eine wahre Entdeckung. Auch in seinem zweiten auf Deutsch erschienenen Krimi fließen seine eigenen Erfahrungen als ehemaliger Polizeibeamter mit ein.  

Paris: Die ambitionierte Chefin der Drogenermittlung, Noémi Castain, erleidet während eines Polizeieinsatzes schwere Verletzungen. So ist eine Hälfte ihres Gesichts entstellt, und die seelischen Blessuren sind enorm. Für immer gezeichnet, ändert sich ihr Leben von einem Tag auf den anderen. Das hat nicht nur Folgen für ihr Privatleben, sondern weitet sich auch auf ihre Arbeit aus. Ihre Vorgesetzten trauen ihr keinen vollen Arbeitseinsatz mehr zu und wollen sie loswerden. Sie schieben sie vorerst unter vorgeschobenen Begründungen in die Provinz ab.  

Avalone, Südfrankreich: Der Schritt von der pulsierenden Metropole ins Dorfleben erweist sich zunächst als äußerst frustrierend und Castain fühlt sich vollkommen überqualifiziert. Dann wird in einem Plastikfass eine verweste Kinderleiche aus dem Stausee des Dorfes geborgen. Jetzt ist Castain gefordert. Ihr untrüglicher Instinkt lässt sie einen fünfundzwanzig Jahre alten Fall wieder neu aufrollen, sehr zum Unmut der Einwohner. Damals wurde das alte Dorf im Stausee geflutet und ein neues Avalone erbaut. Kurz bevor die letzten Häuser untergingen, verschwanden drei etwa zehnjährige Kinder. Der Fall wurde nie gelöst. Ein DNA-Abgleich beweist, das es sich bei der gefundenen Leiche um eines dieser Kinder handelt. Castain verbeißt sich mit der ihr eigenen Hartnäckigkeit in den Fall, läuft gegen eine Wand des Schweigens und begibt sich in große Gefahr.

Der Originaltitel „Surface“ (Oberfläche) sagt schon viel über das Buch aus. Immer mehr versunkene Details drängen an die Oberfläche und schaffen eine faszinierend gruselige Grundatmosphäre. Als Gegenpol steht eine äußerst komplexe Figurenzeichnung des Hauptcharakters. Eine einst starke Frau, die droht sich selbst zu verlieren, aber gegen ihre Traumata ankämpft und langsam wieder an die Oberfläche kommt, das ist gekonnt dargestellt. Spannend, anspruchsvoll, psychologisch ausgefeilt und mitreißend. Ein Buch, in das man versinkt und irgendwann wieder auftaucht, enttäuscht, dass es schon zu Ende ist, doch mit der Hoffnung auf eine baldige Fortsetzung!

(Sylvia Jongebloed)


Olivier Norek: Das versunkene Dorf. Blessing 2022, € 18,00.

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