Die französische Bestsellerautorin mit marokkanischen Wurzeln verarbeitet in ihrem aktuellen Roman anhand der Lebensgeschichte ihrer Großeltern die Kluft zwischen zwei Kulturen, die unterschiedlicher nicht sein können. Hier prallen Orient und Okzident mit voller Wucht aufeinander und hinterlassen selbst noch in der dritten Generation ihre Spuren.

Die Französin Mathilde verliebt sich kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges in den Marokkaner Amine, der während des Krieges als Offizier in der französischen Armee gekämpft hat. Blauäugig stürzt sie sich in diese Beziehung und eine Heirat lässt nicht lange auf sich warten. Nach Kriegsende kehrt Amine mit seiner frischgebackenen Ehefrau nach Marokko zurück. Sie leben zunächst im Haus seiner Familie in Meknes am Fuße des Atlasgebirges. Bereits jetzt beginnt sich das Blatt für Mathilde zu wenden. Abenteuerlust und romantische Vorstellungen verfliegen schnell und Ernüchterung macht sich mehr und mehr breit. Trotzdem will sie diesen Kulturschock erst nicht wahrhaben und tröstet sich mit der Vorstellung, bald mit Amine auf dessen eigenem Land und Gut zu leben. Doch spätestens dort kann sie der Realität nicht mehr entfliehen.

Das Land erweist sich als karg, steinig und nur schwer zu bearbeiten. Die nächste Enttäuschung ist das Haus, denn es entpuppt sich als nicht mehr als eine bessere Hütte. Die französischen Siedler und Kolonialbeamten in ihrem Umfeld reagieren nicht nur mit Unverständnis sondern auch mit Spott und Häme auf dieses ungleiche Paar. Wie ein Lauffeuer macht sich Rassismus breit, den auch ihre Kinder später noch zu spüren bekommen. Von den Marokkanern verachtet und misstrauisch beäugt und von den Franzosen als Menschen zweiter Klasse abgetan. Der Traum von Tausendundeiner Nacht entwickelt sich immer mehr zum Albtraum. Das Buch endet 1955 auf dem Zenit der Unruhen gegen die Kolonialherrschaft und kurz vor Erlangung der Unabhängigkeit Marokkos.

Der Autorin ist ein starker Beitrag gegen Rassismus und Unterdrückung von Frauen und Minderheiten gelungen. Die nüchterne und beherrschte Sprache macht die Ungeheuerlichkeiten noch plastischer. Man leidet mit den beiden Protagonisten mit, wenn man auch nicht alle ihre Handlungen versteht. Die Parallelen zur Gegenwart sind auch nach Jahrzehnten noch augenfällig. Dieser hochaktuelle sowie literarisch und inhaltlich anspruchsvolle Roman ist in Frankreich längst zum Bestseller avanciert. Zwei weitere Bände ihrer Familiengeschichte werden folgen. Grandios!

(Sylvia Jongebloed)

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