Hermann ist hauptsächlich durch ihre preisgekrönten Erzählbände bekannt geworden. Für ihren aktuellen zweiten Roman wurde die Autorin für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.
Die Geschichte beginnt mit einer Rückblende. Ein drückend heißer Sommer in einer deutschen Großstadt vor 30 Jahren. Nach ihrer monotonen Arbeit in einer Zigarettenfabrik entspannt sich die noch junge Protagonistin abends auf dem Minibalkon ihrer Einraumwohnung. Beim Einkauf in der Tankstelle gegenüber lernt sie einen älteren Mann kennen, der sich als Zauberer herausstellt, der eine neue Assistentin zum „Zersägen“ sucht. Diese Chance, etwas völlig Neues zu wagen, lässt sie verstreichen und sagt ab.
Dreißig Jahre später: Die Protagonistin ist inzwischen Ende Vierzig, hat eine gescheiterte Ehe hinter sich und eine erwachsene Tochter, die auf Weltreise ist. Sie ist von der Stadt in die Nähe ihres älteren Bruders nach Nordfriesland gezogen und hilft in seiner Strandkneipe aus. Sie, die Großstädterin, lebt das erste Mal allein und abgeschieden in einem Haus in einer völlig anderen Umgebung als gewohnt. Da ist das Meer, die Weite der Küste und die raue Natur. Sie lernt einen vollkommen anderen Menschenschlag kennen, schließt neue Freundschaften und knüpft sogar zarte Liebesbande. Was wird sie aus diesem neuen Leben machen, wird sie bleiben oder wieder eine Chance zu einem Neuanfang verstreichen lassen wie in jungen Jahren?
Die Zerrissenheit der Heldin, ihre Versuche sich abzukapseln und ihre Ängste vor jeglicher Art von Einengung werden genau beschrieben. Philosophische Fragen blitzen zwischendurch auf: Wer bin ich, wer könnte ich sein und was hätte sein können. Es ist ein leiser Roman mit sehr vielen Zwischentönen und gleichzeitig mit einer großen Kraft. Die lakonische Sprache verstärkt die Problematik noch zusätzlich. Der Autorin ist ein kleines Meisterwerk gelungen, süffig und herb wie ein guter Wein!
(Sylvia Jongebloed)