Was haben zwei Briten in Berlin und ein toter russischer Oligarch gemeinsam? Was hat der Geheimdienst damit zu tun? Einbildung, Wahn, Paranoia? Die Grenzen sind fließend in diesem Buch, den der Verlag als Roman kategorisiert, den wir aber eher als Thriller empfinden. Mit subtiler Spannung entführt uns der Autor in eine Welt des schönen Scheins, in der sich Abgründe auftun. Patricia Highsmith hätte ihre Freude daran gehabt.

Robert, ein britischer Schriftsteller, lebt schon längere Zeit mit seiner Familie in Berlin. Er leidet seit mehr als einem Jahr an einer Schreibblockade. Das verunsichert ihn zunehmend und er versucht, sich soviel Anregungen wie möglich holen. Auf einer Lesung lernt er Patrick kennen, ebenfalls ein britischer Schriftsteller. Die beiden verstehen sich auf Anhieb gut, auch wenn Patrick auf dem ersten Blick etwas seltsam erscheint. Angeblich war er Ghostwriter eines inzwischen ermordeten russischen Oligarchen, der erklärter Feind des Kremls war. Deshalb ist ihm jetzt, so meint er, der russische Geheimdienst auf den Fersen.

Der bodenständige Robert ist hin- und hergerissen. Er weiß nicht, was er von dieser Geschichte halten soll. Zugleich fasziniert und abgestoßen beobachtet er, wie Patrick zunehmend in eine Art Verfolgungswahn abdriftet, der paranoide Züge aufweist. Auf der anderen Seite sieht er durchaus auch die Möglichkeiten, die sich ihm bieten, um seine Schreibblockade endlich zu überwinden. Die Story hat viel Potential und je mehr merkwürdige Dinge passieren, um so interessanter wird sie. Doch auch Robert wird unmerklich immer mehr in diese anderen Welten hineingezogen. Was ist noch Wirklichkeit und was ist Wahn?

Dieser Roman beginnt eher ruhig, aber zwischen den Zeilen knistert es bereits. Die Handlung entwickelt sich auf eine derart subtile Weise, dass sie schnell und fast unmerklich nach dem Leser greift und ihn gefangen nimmt. Hochspannung der etwas anderen Art, psychologisch pointiert mit einer großen erzählerischen Kraft bis zum unerwarteten Ende. Zwei komplett unterschiedliche Protagonisten, die beide durchaus auch eine dunkle Seite haben. Gekonnt lotet der Autor die menschlichen Abgründe aus, die extreme Situationen hervorrufen können. Literarisch ambitioniert, ausgesprochen spannend und sehr unterhaltsam erzählt, kurzum ein besonderer Thriller zum Genießen zwischen den Weihnachtsfeiertagen!

(Sylvia Jongebloed)


Chris Power: Ein einsamer Mann. Ullstein 2022, € 22,99.

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