Der Isländer Jónasson hat sich vor allem in der Filmbranche einen Namen gemacht. Eines seiner Drehbücher war sogar für einen Oscar nominiert. Mit „Schmerz“ legt er nun seinen ersten Roman vor, der als Auftakt für eine neue Krimireihe gedacht ist, und der sich bemerkenswert von anderen Krimis abhebt.

Zwei Handlungsstränge durchziehen das Buch: Eine geplante Großrazzia gegen das organisierte Verbrechen vereinnahmt die Spitzenkräfte der isländischen Polizei. Es geht u.a. um Banden- und Drogenkriminalität osteuropäischer Einwanderer. Diese Razzia hat höchste Priorität. Als etwa zeitgleich ein Teenager bei einem Schulausflug im Nationalpark verschwindet, hat die Polizei ein personelles Problem. Dadurch werden zwei ungleiche Kriminalbeamte mit dem Fall betraut, die normalerweise nicht für Vermisstenfälle zuständig wären.

Die im Fokus stehenden Ermittler sind zwei Außenseiter im Polizeiapparat: Da ist auf der einen Seite Dora, eine erfahrene Polizistin, die auf eine langjährige Berufserfahrung zurückblicken kann. Seitdem sie bei einem Jahre zurückliegenden Einsatz eine Hirnverletzung erlitten und ein Auge verloren hat, plagen sie zwar permanente Schmerzen, aber ihre Wahrnehmung ist extrem geschärft. Da Vorgesetzte und Kollegen damit nicht umgehen können, wird sie ausgegrenzt und wurde an den Schreibtisch verbannt. Rado, ein junger Polizist serbischer Abstammung, wird aus anderen Gründen gemieden und zu trivialen Tätigkeiten verdonnert. Sein Schwiegervater ist eine gefürchtete Unterweltgröße und Oberhaupt der hiesigen serbischen Mafia. Man traut Rado nicht über den Weg, kann ihm aber auch kein Fehlverhalten nachweisen. Für beide stellt nun die Ermittlung im Fall des verschwundenen Mädchens eine große Herausforderung und Chance dar.

Wie sich Dora und Rado zusammenraufen, wird spannend und mit viel Empathie in Szene gesetzt. Unvorhergesehene Wendungen treiben die Spannung permanent an. Dabei wirft der Autor auch einen kritischen Blick auf die sozialen Veränderungen im heutigen Island und mischt geschickt alte Legenden mit modernen Verbrechen im digitalen Zeitalter. Als Kulisse dient eine atemberaubende Landschaft, die zusätzlich für viel Atmosphäre sorgt. Mittendrin glaubwürdige und psychologisch fein gezeichnete Figuren. Der grandios angelegte Plot ist äußerst überraschend und lässt das Krimiherz höher schlagen. Dies ist kein Kriminalroman von der Stange. Genießen Sie ihn und freuen Sie sich jetzt schon auf die Fortsetzung „Gift“, die Ende Oktober erscheint!

(Sylvia Jongebloed)


Jón Atli Jónasson: Schmerz.  Fischer Scherz 2025, € 18,00.
Übersetzt von Freyja Melsted