Wann ist in einer Beziehung der richtige Moment gekommen, um zu gehen? Ist er dann, wenn ein Streit zum ersten Mal körperlich wird? Oder wenn man im Schwitzkasten dem hilflosen Gefühl der Ohnmacht ausgeliefert ist? Was wenn der richtige Moment schon längt verpasst ist, und Grenzen immer wieder überschritten werden?

Von diesen Fragen sind Jella und Yannik noch weit entfernt, als sie sich an einem Samstagabend in einem Club kennenlernen. Jella führt ein unbeschwertes Studentenleben, feiert gerne mit ihren Freundinnen und genießt die Freiheit ungebunden zu sein. An die wechselnden Partner passt sie sich an, entspricht immer dem männlichen Frauenbild, ist ständig auf der Suche nach Anerkennung. Aufgewachsen ist sie in der Lausitz, ihre Kindheit ist geprägt vom Tagebau, der Umsiedlung der Familie und der späten Trennung der Eltern.

In Yannik, aufstrebender Künstler aus gutem Hause, findet sie endlich die große Liebe. Er ist selbstsicher und attraktiv, fürsorglich kümmert er sich um sie. Die zwei ziehen in eine helle, großzügige Wohnung, planen die gemeinsame Zukunft. Doch die tiefen Gefühle kippen immer wieder, schlagen um in Provokationen und Unterwerfung. Auf einmal findet sich Jella auf der Polizeistation wieder, muss beschreiben wie Yanniks Hände sich um ihren Hals schlossen und zudrückten. Wie konnte es so weit kommen?

Ruth-Maria Thomas begleitet in ihrem Roman „Die schönste Version“ ihre junge Heldin während der ersten elf Tage nach der Anzeige wegen häuslicher Gewalt. Mit psychologischem Feingefühl gewährt sie schonungslos intime Einblicke in Jellas Seelenleben, macht ihre Zerrissenheit und ihre Scham spürbar. Doch das anfängliche Verharmlosen der Tat und ihre Selbstzweifel weichen immer mehr der Gewissheit, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Dieses absolut beeindruckende Debüt gehört zurecht auf die Longlist der nominierten Titel für den Deutschen Buchpreis.

(Viviana Domokos)


Ruth Thomas: Die schönste Version. Rowohlt 2024, € 24,00.

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