Romy Hall ist 29 Jahre alt, als sie in San Francisco für den Mord an ihrem Stalker zu zweimal lebenslänglich verurteilt wird. Eine unvorstellbare Strafe, deren Tragweite und hoffnungslose Endgültigkeit durch die Lektüre dieses Romans verstörend nachfühlbar wird. Das Buch erzählt vom Leben im Knast. Davon, wie dort eigene Regeln entstehen, von Freundschaften und vom Überleben unter lebensfeindlichen Bedingungen. Und von einem Strafvollzugssystem, das sich zu einem lukrativen Wirtschaftszweig entwickelt hat. Unter sein Joch geraten vor allem die Armen und die sozial Benachteiligten.

Rachel Kushner zeichnet eine kalte, brutale Gesellschaft, in der nicht die Gerechtigkeit über das Schicksal entscheidet, sondern allein der soziale Rang. In dieser Welt leiden vor allem Mädchen und Frauen. In Rückblenden erzählt Romy von ihrer Kindheit in einem fragilen Zuhause, von ihrer frühen Konfrontation mit Gewalt und Missbrauch. Sie landet in einem Strip Club mit dem sinnstiftenden Namen „Mars Room“ (gleichzeitig der englische Originaltitel – viel passender als der verschwurbelte deutsche Titel). Sie bekommt einen kleinen Sohn und erlebt eine Liebesbeziehung. Dann kommt der Stalker, der Mord, der Knast und das Leben ist vorbei. Doch draußen ist noch Romys Sohn Jackson, erst 7 Jahre alt. Er braucht seine Mutter…

Diese Männer dimmten mein Licht. Sie machten mich taub für Berührungen, und zornig. Ich gab etwas und bekam im Tausch dafür etwas anderes, aber es war nie genug.

Keine Frage: Romy ist nicht nur ein Opfer. Sie hat sich schuldig gemacht und büßt zu Recht eine Strafe ab. Doch beim Lesen stellt sich schnell die Frage: Was wäre, wenn? Was wäre, wenn sie frühzeitig Schutz erhalten hätte vor dem Mann, der sie bedrohte? Was wäre, wenn sie sich einen Anwalt hätte leisten können? Was wäre, wenn sie behütet von fürsorglichen Eltern einen anderen Lebensweg eingeschlagen hätte? Wenn der fehlerhafte Tausch nicht in ihr gebrodelt hätte und sich ihre Wut nicht die Bahn gebrochen hätte, die schließlich ein anderes Leben auslöschte?

Die Entdeckung dieses Buchs verdanke ich dem Tipp einer Kundin, und ich gebe diesen Tipp gern an Sie weiter. Ich bin ein Schicksal ist bewegend, verstörend, spannend, lebendig und einfach nur unglaublich toll. Für mich eindeutig der Roman des Jahres.

Rachel Kushner: Ich bin ein Schicksal. Rowohlt 2019, € 24,00.

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