Wer hat schon einmal darüber nachgedacht, wie Wörterbücher entstanden sind und wer die unendlich vielen Wörter zusammengetragen hat? Die britische Autorin hat sich intensiv mit diesem Thema beschäftigt. In ihrer Wahlheimat Australien hat sie mit ihrem aktuellen Roman die Herzen ihrer Leser*innen im Sturm erobert.

Oxford 1886: Die mutterlose sechsjährige Esme wächst bei ihrem Vater, einem Lexikographen, inmitten von tausenden von Wörtern auf. Im Scriptorium, einem eher armseligen Gartenschuppen, hängen die aus aller Welt zusammengetragenen Wörter auf Postkartengröße und warten darauf, in einen der alphabetisch geordneten Kartons einsortiert zu werden. Unter der Regie von James Murray wird hier an der Erstauflage eines neuen Wörterbuchs gearbeitet. Die aussortierten, unter den Tisch fallenden Wörter sammelt die Kleine auf und schafft damit im Laufe der Jahre ein eigenes, nicht offizielles Wörterbuch. Der Sinn dieser Wörter erschließt sich ihr oft erst mit dem Älterwerden. So muss sie feststellen, das es sich fast ausnahmslos um den Sprachgebrauch der einfachen Leute und besonders von Frauen handelt.

Bis an ihr Lebensende engagiert sich Esme für den Erhalt dieser vergessenen oder geächteten Wörter und dringt so immer mehr in eine bisher ausschließlich Männern vorbehaltenen Domäne vor, dem Bildungsbürgertum.Wir erleben mit Esme die Jahrhundertwende als eine Zeit voller Umbrüche. Frauen hinterfragen zunehmend ihre Stellung innerhalb der Gesellschaft, von den ersten Suffragetten bis zum Frauenwahlrecht 1928 in Großbritannien. Dazwischen wütet der Erste Weltkrieg und hinterlässt auch in Esmes Leben schicksalhafte Spuren.

Wer kennt es nicht, das legendäre Oxford English Dictionary, im analogen Zeitalter absolut unentbehrlich. Minutiös hat die Autorin dessen Entstehung recherchiert und in diese fiktionale Erzählung reale Ereignisse mit einfließen lassen. Sie lässt vor unserem inneren Auge vierzig Jahre eines Frauenlebens entstehen, erzählt von der Wandelbarkeit von Wörtern im Laufe der Zeiten und lässt eine geschichtsträchtige Zeit wieder auferstehen. Die sensible Erzählweise und die empathische Darstellung der Charaktere berühren und reißen mit. Ein bunter und phantasievoller, mit historischen Fakten untermauerter Roman, der auf hohem Niveau unterhält und lange nachhallt!

(Sylvia Jongebloed)


Pip Williams: Die Sammlerin der verlorenen Wörter. Diana Verlag 2022, € 22,00.

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