Eine französische Mutter, ein deutscher Vater und schon ist man mittendrin in der europäischen Zeitgeschichte!

Géraldine Schwarz wuchs in Frankreich auf, ist Journalistin und stellt in diesem wichtigen Buch die Geschichte „im Kleinen“ (nämlich ihre Familiengeschichte seit dem Dritten Reich) in den größeren Zusammenhang der politisch-gesellschaftlichen Entwicklung dieser Jahre. Sie erzählt sehr fundiert und detailreich und wählt dabei immer wieder überraschende Blickwinkel.

Der deutsche Großvater profitierte von Arisierung und Verfolgung. Er erwarb in den Dreißiger Jahren eine jüdische Firma zu einem Spottpreis. Schwarz recherchiert das Schicksal der jüdischen Familie und findet im Keller der Großeltern einen aufschlussreichen Briefwechsel zwischen dem überlebenden ehemaligen Inhaber und ihrem Großvater. Was sie da liest, verstört sie. Der ehemalige Firmenbesitzer fordert Entschädigung, der Großvater wehrt sich. Er zeigt wenig Unrechtsbewusstsein und kaum Empathie. Eine Reaktion, die dem Zeitgeist der Fünfziger Jahre  entsprach. In Frankreich wiederum wurde das Vichy-Regime kaum aufgearbeitet, man identifizierte sich lieber mit der Résistance.

Die zentrale Frage des Buchs: Was bedeuten Aufarbeitung oder Leugnung solcher historischen Phasen für das Demokratieverständnis einer Gesellschaft? Was kann, was muss Gedächtnisarbeit leisten?

Für diese Fragestellung und die brillante Umsetzung wurde Schwarz 2018 mit dem Europäischen Buchpreis der EU ausgezeichnet.

Géraldine Schwarz: Die Gedächtnislosen. Secession Verlag 2018, € 28,00. Direkt bei uns erhältlich – im Ladengeschäft oder im Onlineshop.

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