Was passiert nach einem Schicksalsschlag, wie gehen die Betroffenen und ihr Umfeld damit um? Eine dramatische Kindesentführung, eine verzweifelte Mutter, ein Polizeiapparat, der an seine Grenzen stößt, und ein fassungsloses Umfeld. Der Autor zeichnet hier das Psychogramm einer amerikanischen Kleinstadt in einer Ausnahmesituation auf.

Willkommen in Tall Oaks, Kalifornien: ein kleiner verschlafener Ort, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, wo nichts passiert und jeder jeden kennt. Bis das Unfassbare passiert. Der dreijährige Harry Monroe wird quasi vor den Augen seiner Mutter Jess entführt. Diese erlebt über das Babyfon live mit, wie ein maskierter Mann sich im Zimmer ihres Sohnes zu schaffen macht. Als sie ins Kinderzimmer stürmt, ist es leer.

Der Frieden in dem kleinen verschlafenen Ort gerät komplett aus den Fugen. Die Polizei arbeitet auf Hochtouren und der Medienrummel ist gewaltig. Misstrauen macht sich breit. Jeder verdächtigt jeden. Die Mutter hängt ständig und überall Plakate auf und weiß nicht, wie sie mit ihrem Schmerz umgehen soll. Der von ihr getrennt ebende Ehemann gerät immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit und wird für viele zum Hassobjekt, weil er sich angeblich nicht genug um seinen Sohn gekümmert hat. Der leitende Ermittler ist heimlich in die Mutter verliebt. Was wiederum die Frage aufwirft, ob er objektiv genug handelt. Doch das alles wird bedeutungslos, denn als Harry nach Monaten immer noch verschwunden ist, werden die Ermittlungen zwangsläufig eingestellt.

Wie mit einem Brennglas beleuchtet der Autor seine Charaktere. Haupt- und Nebenfiguren werden in all ihren Facetten beschrieben. Dabei treten skurrile Figuren auf, die die angespannte und düstere Atmosphäre etwas entzerren und für eine Prise Situationskomik sorgen. Whitaker geht dabei stets sehr feinfühlig vor. Ein vielschichtiger Roman, der wie ein Splatterfilm beginnt, Spuren von „Psycho“ aufweist, den Leser komplett an der Nase herumführt, um dann nach und nach ein menschliches Drama zu enthüllen. Packend, hochspannend, ohne Effekthascherei und sensibel dargestellt, dramaturgisch ausgefeilt und auf hohem Niveau erzählt. Kurzum herausragend!

(Sylvia Jongebloed)


Chris Whitaker: Was auf das Ende folgt. Piper 2022, € 22,00.

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