Es ist ein neuer Roman von Haruki Murakami erschienen. Bei diesem Autor ist es so: Entweder man vergöttert ihn – oder man kann gar nichts mit ihm anfangen. Entsprechend euphorisch sind die Reaktionen seiner Fans auf das neue Buch „Die Ermordung des Commendatore“. Wenn viele kluge Leute so dermaßen hin und weg von einem Buch sind, horche ich immer auf, sogar bei Murakami – denn bisher war ich absolut keine Murakami-Jüngerin, im Gegenteil. Ich gebe zu: Murakami war nach einem missglückten Versuch vor einigen Jahren nie auf meiner Leseliste. Das Erscheinen eines neuen Romans habe ich zur Kenntnis genommen, mehr nicht. Ohne Gefühlsentwicklung.

Das hat sich nun geändert, denn, angestachelt von der Begeisterung einer bloggenden Buchhändler-Kollegin, bin ich neugierig geworden, habe mich bei ihr erkundigt, womit ich einsteigen könnte in die anspruchsvolle Welt des Haruki Murakami. Ich lese nun also (noch) nicht den „Commendatore“, sondern „Wilde Schafsjagd“. Tatsächlich finde ich dieses Buch wider Erwarten ziemlich fantastisch. Ein ziemlich verrücktes Buch mit einer Kriminalhandlung und phantastisch-träumerischen Elementen, das sich großartig liest und richtig Spaß macht.

Darum geht es: Tokio 1978. Ein Ich-Erzähler ohne Namen, Mitte 30, ist frisch geschieden und gelangweilter Inhaber einer Werbeagentur. Er befindet sich in einem deprimierenden Alltagstrott. Als er eine junge Frau mit überirdisch schönen Ohren kennenlernt, kommt ein wenig Bewegung in sein Leben. Richtig Fahrt nimmt die Geschichte auf, als ein merkwürdiger Mann in der Werbeagentur auftaucht. Er kommt mit einem besonderen Auftrag: Die Agentur hatte vor kurzem eine Werbezeitschrift erstellt. Dort war ein unscheinbares Foto abgedruckt, Schafe in einer Landschaftszene auf Hokkaido. Ein Schaf sticht aus seiner Herde hervor, und dieses Schaf soll der Ich-Erzähler suchen. Weigert er sich, wird seine Existenz vernichtet.

So weit, so schräg? Ja, schon. Aber während ich immer tiefer in dieses Buch eintauche, kommt mir das alles absolut plausibel vor. Es ist ein düsterer Text, der ein bisschen kafkaesk anmutet, ein bisschen existentialistisch. Ein bisschen erinnert er an russische Autoren. Es gibt einen eleganten Übergang von der realistischen Welt hin zu einer phantastischen, träumerischen Ebene. Zwischendurch ist es beißend komisch. Fazit: Dieses Buch ist perfekt geeignet, wenn Sie noch nie etwas von Murakami gelesen haben. Hier sind, so wurde mir gesagt, bereits einige immer wiederkehrende Motive und Themen in seinen Romanen angerissen.

Ich werde mich nun öfter gezielt der „Backlist“ zuwenden. So nennen wir Buchhändler Bücher, deren Erscheinungstermin schon länger zurückliegt, die eine Buchhandlung aber vorrätig haben will oder sollte, weil entweder die Kunden oder wir sie mögen. Auch abseits der Neuerscheinungen gibt es viele gute und lesenswerte Bücher zu entdecken. Murakami nicht gelesen zu haben, wäre jedenfalls für mich ein großer Verlust gewesen.

Haruki Murakami: Wilde Schafsjagd. DuMont Buchverlag 2005, 24,00 € oder btb (2006), 10,00 €.

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